"Wahlmöglichkeiten sichern!"

... und Wohnwünsche von Menschen mit komplexer Behinderung und pflegerischem Unterstützungsbedarf feststellen - das war das Thema dieses spannenden BODYS-Projekts. Die Mitarbeiter*innen um Prof. Dr. Karin Tiesmeyer und Prof. Dr. Dieter Heitmann präsentierten nun ihre Ergebnisse auf der Abschlusstagung im Dezember 2019 in Bielefeld.

Über das Projekt
Nach § 19 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) haben Menschen mit Behinderung den rechtlichen Anspruch auf die Möglichkeit freier Bestimmung des Wohnens. Trotz starker Ausweitung ambulanter Unterstützungssettings profitieren Menschen mit komplexer Behinderung und Pflegebedarf jedoch aus unterschiedlichsten Gründen bislang kaum von diesem Anspruch und drohen diesbezüglich ausgegrenzt zu werden. Viele Menschen mit komplexer Behinderung leben langjährig in stationären Wohnformen, ohne dass klar ist, ob dies ihrem Wunsch entspricht. Oft handelt es sich um Personen, die sich nicht einfach über Sprache äußern können. Dadurch tritt Wohnen in seiner Bedeutung in den Hintergrund und wird – so hat das Projekt gezeigt – von Mitarbeitenden und Angehörigen vielfach vor allem als „Unterstützungssicherheit“ gedacht.

An dieser Stelle setzte das Projekt an und zielte darauf, die Ausübung dieser Wahlmöglichkeit für Menschen mit Behinderung und umfassendem Unterstützungsbedarf in den Bereichen Teilhabe, selbstbestimmte Lebensführung und Pflege sicherzustellen. Über den Zeitraum von 3 Jahren untersuchten Vertreter*innen aus Wissenschaft, Praxis und Selbstvertretung Methoden, die Wohnwünsche von Menschen mit komplexer Behinderung zu ermitteln. Das gesamte Projekt war durch die konsequente Ausrichtung am Willen der Menschen mit komplexer Behinderung und pflegerischem Unterstützungsbedarf und durch die systematisch verankerte Einbindung von Interessenvertretungen stark partizipativ ausgerichtet.

Wohnwünsche erkennen: Von Wohn-o-mat bis Untersützungskreis!
Die auf der Tagung präsentierten Fallstudien zeigten, wie die im Projekt eingesetzten Methoden wirken: Die beteiligten Personen rückten mit ihren Kompetenzen, ihrer Individualität und ihren Wünschen in den Mittelpunkt. Dabei war wichtig, Wohnen in seiner Bedeutungsvielfalt zu sehen, z.B. als Ort, an dem man sich emotional gebunden fühlt, der „Zuhause“ ist, an dem man entscheidet, wie und mit wem man leben möchte und der Ausdruck der Persönlichkeit ist, weil Leben und Wohnen sehr eng miteinander verbunden sind.

Die Tagungsgäste konnten einige Methoden des Projekts dann auch selbst ausprobieren, zum Beispiel die „Gestaltung einer Seite über mich“ oder den „Wohn-o-mat“, und sich bei den Beteiligten über die Umsetzung und die Erkenntnisse zu „Unterstützungskreisen“ oder den Einsatz der „Unterstützten Kommunikation“ informierten.

Auf dem Weg zu Selbstbestimmung – jeder (kleine) Schritt zählt!
Wohnwunschäußerung – so eine zentrale Erkenntnis des Projektes – passiert nicht einfach, sondern ist gemeinsame Arbeit, ein „Gemeinsamer Herstellungsprozess“, für den es methodische Kompetenzen, Perspektivenvielfalt, Zeit, Aufmerksamkeit und (Selbst-)Reflexion braucht. Hierdurch können, das wurde ebenfalls deutlich, in vielen kleinen Schritten Wünsche herausgearbeitet und Wege zu mehr Selbstbestimmung eröffnet werden.

Teilhabe bedeutet – und das ist für Menschen mit komplexer Behinderung in besonderer Weise bedeutsam –, aktiv in Entscheidungsprozesse eingebunden zu sein, die das eigene Leben und das Wohnen betreffen. Daher gilt es auch, diese vermeintlich „kleinen Schritte“ wertzuschätzen, sie als bedeutsam anzusehen und als eine der zentralen Aufgaben der Eingliederungshilfe zu begreifen.

Beteiligte: Dr. Friederike Koch (Projektleitung von Bethel.regional); Projektmitarbeitende Bethel.regional: Christiane Wilking, Detlef Thiel-Rohwetter; Prof. Dr. Karin Tiesmeyer, Prof. Dr. Dieter Heitmann (Projektleitung BODYS/EvH RWL); BODYS-Mitarbeiter*innen Carina Bössing, Annika Kühl, Katrin Schrooten und Eva Weißhaupt; Prof. Dr. Gudrun Dobslaw (FH Bielefeld); Kooperation mit der der In der Gemeinde leben gGMbH

Gefördert wurde das Projekt von der Stiftung Wohlfahrtspflege.

Bisherige Publikationen zum Projekt
Schrooten, Katrin; Bössing, Carina; Tiesmeyer, Karin; Heitmann, Dieter (2019): Wohnwünsche von Menschen mit komplexer Behinderung. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, https://doi.org/10.1007/s00391-019-01532-4

Bössing, Carina; Schrooten, Katrin; Tiesmeyer, Karin; Heitmann, Dieter (2020, erscheint demnächst): Wohnwünschen ermitteln bei Menschen mit Komplexer Behinderung – Eine systematische Literaturübersicht. Teilhabe 1, Jg.50: S. 16-22

Weitere sind für 2020 geplant

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