Rezension: "Unterstützung der Selbstbestimmung oder fremdbestimmte Stellvertretung?"

Der vorliegende Titel ist die sehr lesenswerte Dissertation zu einem „blinden Fleck innerhalb der Betreuungsforschung“, wie es die Autorin Jana Offergeld nennt. Denn „Forschungsvorhaben, in denen die Perspektive rechtlich betreuter Menschen im Mittelpunkt steht, bzw. diese selbst befragt werden, sind besonders selten“. Und so hat Offergeld konsequent ein partizipatives Forschungsvorhaben im Sinne der UN-BRK, gemeinsam mit der Selbstvertretungsorganisation Mensch zuerst e.V., durchgeführt. Ihre Studie basiert auf der Annahme, dass die Frage, inwiefern das Betreuungsrecht Selbstbestimmung fördert oder verhindert, nur unter der Einbeziehung der Perspektive der rechtlich betreuten Personen selbst beantwortet werden kann. Und um sicherzustellen, dass alle Beteiligten auch von der Zusammenarbeit partizipieren, wurde die Studie durch eine vorangeschaltete Schulungsreihe für Menschen mit Lernschwierigkeiten zu Fragen der rechtlichen Betreuung begleitet.

Einleitend beschreibt die Autorin detailliert das System der rechtlichen Betreuung und umreißt die Bedeutung der UN-Behindertenrechtskonvention für das Betreuungsrecht. Allein diese beiden Teile stellen für sich gesehen schon bedeutende und aktuelle Informationen zu einem menschenrechtlichen Verständnis des Themas bereit. Ausgehend von einer Übersicht über den derzeitigen Forschungsstand zur Perspektive rechtlich betreuter Menschen skizziert sie dann ihre drei Forschungsfragen. Erstens: Wie erleben Menschen mit Lernschwierigkeiten ihre rechtliche Betreuung? Zweitens: Welche Erfahrungen machen Menschen mit Lernschwierigkeiten mit rechtlicher Betreuung im Hinblick auf ihre Möglichkeiten der selbstbestimmten Lebensführung? Drittens: Welche Kenntnisse haben Menschen mit Lernschwierigkeiten im Hinblick auf das Betreuungsrecht und ihren eigenen rechtlichen Status?

Die Ergebnisse zeigen, dass Menschen mit rechtlicher Betreuung und ihre politischen Selbstvertretungsorganisationen wesentlich stärker als bisher einbezogen werden müssen, wenn das Betreuungsrecht eine Unterstützungsform werden soll, die den Vorgaben der UN-BRK entspricht.

Die Autorin arbeitet derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Institut für Menschenrechte in der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention.

Jana Offergeld: Unterstützung der Selbstbestimmung oder fremdbestimmte Stellvertretung? Rechtliche Betreuung aus der Perspektive von Menschen mit Lernschwierigkeiten. Beltz Juventa, Weinheim Basel 2021, 291 S., 39,95 Euro

Text: HGH, Übernahme aus "Behinderung & Menschenrecht", Ausgabe März 2022, mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers

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