Gast-Vortrag: Was bedeutet Barrierefreiheit für Menschen mit psychosozialen Behinderungen?

Sieben Frauen nebeneinander schauen lachend in die Kamera. Hinter ihnen auf der Leinwand der Titel der Veranstaltung
Die Vortragenden und die Gastgeberinnen - von links: Gudrun Kellermann, Kathrin Römisch, Azize Kasberg, Theresia Degener, Julia Lippert, Stefanie Frings, Franziska Witzmann

Am 2. Juli 2024 waren Azize Kasberg und Julia Lippert zu Gast am Bochumer Zentrum für Disability Studies. Dort stellten die Berlinerinnen ein partizipatives Forschungsprojekt vor, das im Rahmen einer Promotion an der Universität Bielefeld und der Alice-Salomon Hochschule Berlin durchgeführt wird.

Wirksame Selbstvertretung von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen in barrierefreien Gremien“ lautet das Thema. Selbstvertretung ist für behinderte Menschen ein Mittel, ihr in der UN-Behindertenrechtskonvention verankertes Menschenrecht auf volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft wahrzunehmen. Ausgangspunkt des Forschungsvorhabens ist die Erfahrung, dass Stimmen von Selbstvertreter*innen zwar gehört, aber selten wirksam werden. Unter Selbstvertretung verstehen die Forscher*innen, dass behinderte Menschen explizit die Rolle als Erfahrungsexpert*innen einnehmen, um für ihre Rechte und Interessen einzutreten, - und zwar als selbstgewählte Rolle. Eine zentrale Annahme des Projekts ist die fehlende Barrierefreiheit in Gremienarbeit, wodurch wirksame Beteiligung verhindert oder eingeschränkt wird. Die partizipative Aktionsforschung wird durch ein Forschungsteam aus Erfahrungsexpert*innen, die Mitglieder des Kellerkinder e.V. sind, und der Gesundheitswissenschaftlerin Azize Kasberg durchgeführt.

Ganz im Geiste der Partizipation luden die beiden Vortragenden zunächst das Publikum ein, ihre Interessen und Fragen zum Projekt zu teilen. Neben inhaltlichen Aspekten gingen sie daher auch darauf ein, wie sich das Forschungsteam gefunden hat, welche Schritte gegangen wurden, um den Forschungsprozess zu starten, welche Bedingungen als förderlich oder hinderlich für das partizipative Format wahrgenommen wurden. So ging dem aktuellen Projekt bereits eine erfolgreiche Zusammenarbeit der Beteiligten voraus („Barrierefrei arbeiten“). Es zeigte sich bald, dass Vertrauen und Vertrautsein miteinander extrem hilfreich ist, wenn partizipative Forschung allen Seiten Zeit, Geduld und Engagement abverlangt.

Im Anschluss an den Vortrag entwickelte sich eine angeregte Diskussion zu Grundfragen der menschenrechtsbasierten Disability-Studies-Forschung. Etwa zur Bedeutung von Barrierefreiheit für Menschen mit psychosozialen Behinderungen jenseits von architektonischer Zugänglichkeit oder Schriftdolmetschung, Gebärdensprachdolmetschung und Audiodeskription. Während auf der Handlungsebene bereits im Vorgängerprojekt des Teams Empfehlungen erarbeitet wurden, bleibt der Adressatenkreis unscharf. Da Barrierefreiheit seit Inkrafttreten der UN BRK einem Menschenrecht gleichkommt, ist diese Frage nicht trivial. Barrierefreie Zugänglichkeit (Art. 9 UN BRK) bezieht sich im Gegensatz zu „angemessenen Vorkehrungen“ (vgl. Art. 2 UN BRK) auf kollektive Bedarfe. Doch wie ist diese Gruppe in Bezug auf psychosoziale Behinderungen zu bestimmen? Wie das Forschungsteam nachvollziehbar argumentiert, ist die Bestimmung entlang medizinischer Diagnosen aus menschenrechtlicher Perspektive nicht angemessen. Doch was gilt dann als Kriterium? BODYS-Forscher*innen und Studierende der Ev. Hochschule RWL freuten sich über den fachlichen Austausch über dieses wichtige und innovative Forschungsprojekt.

Zu den Personen:
Azize Kasberg ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Alice Salomon Hochschule Berlin, wo sie auch promoviert. Julia Lippert ist akademische Mitarbeiterin der Medizinischen Hochschule Brandenburg, Sprecherin der Liga Selbstvertretung und BODYS-Beiratsmitglied.

 

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