BODYS on Tour in Island

Das Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS) bietet durch seine internationalen Forschungspartner auch Studierenden die Möglichkeit eines Studien- oder Praktikumsaufenthalts im Ausland. Heute berichtet Margret Bertholdt (Bild unten), Studentin der Heilpädagogik & Inklusiven Pädagogik, über ihr Praktikum in Island.

Margret Bertholdt vor wilder Bergkulisse (c) M. Bertholdt

Island sollte es sein

Ísland – wortwörtlich: Eisland – sollte es sein. So hatte ich es mir vorgestellt für mein 80-tägiges Praktikum im Rahmen meines Studiums der Heilpädagogik und Inklusionspädagogik, das ich zum Wintersemester im „Coronajahr“ 2020 begann. Es ist mein Erststudium als Frau mit zwei Berufsabschlüssen, vielen Jahren Berufserfahrung und Familie, jedoch noch ohne beruflich langzeitige Auslandserfahrung. Im Studium bin ich in neue Themenfelder wie die Disability Studies, die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und Ethik eingetaucht, sie haben mich inspiriert und neugierig auf eine weitere Auseinandersetzung damit gemacht.

Kontaktanbahnung über BODYS

Bei meiner Recherche nach Wegen ins Ausland hatte ich auf der Homepage der EvH gesehen, dass das Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS) über verschiedene internationale Kooperationen verfügt. Also habe ich zunächst Kontakt zu BODYS bzw. zur BODYS-Leiterin Frau Prof. Degener aufgenommen und um Hilfe zur Vermittlung an die Kooperationspartner in Island gebeten. So kam ich in Kontakt mit Frau Prof. Rannveig Traustadóttir von der Háskóli Íslands. Sie und Frau Witzmann von BODYS haben mir geholfen, einen für meinen Studiengang passenden Praktikumsplatz zu finden.

Rote Holzhäuschen am Hafen und die Autofähre (c) M. Bertholdt

Ankunft am Traumziel

Ende Februar 2022 war es so weit: Ich kam mit der Fähre und meinem blauen Auto nach der 4-tägigen schaukeligen Überfahrt in Seyðisfjörður, dem östlichsten Hafenort auf Island, an. Das Ziel war mein Praktikumsplatz: die Klettáskoli, eine der drei Förderschulen in Reykjavik.

Ich war angespannt, da ich die Unterkunft im Studentenwohnheim in Reykjavik erst nach Durchquerung von 726 Kilometern verschneiter Straßen erreichte. Voller freudiger Neugier, was mich erwarten würde, traf ich am nächsten Tag auf meine Mentorin Valgerður Marinósdóttir, mit der ich schon im Vorfeld sehr netten Mailkontakt hatte. Meine Mentorin empfing mich nun freundlich, zeigte mir nach einem kurzen Gespräch die Schule und stellte mich gleich verschiedenen Menschen vor. Erleichtert über diesen wohlwollenden Empfang erwartete ich die kommende Praktikumszeit.

Mein Einsatz in der Klettáskoli

Mein erster Einsatzort war eine neunte Klasse der Klettáskoli. Das isländische Pendant zu Heilpädagog*innen sind die „þroskaþjálfi“ (dt. Entwicklungstherapeuten), im Rahmen meines Praktikums konnte ich nun erleben, wie diese Profession in Island im Unterricht eingesetzt wird. Als Praktikantin durfte ich die Abläufe im Unterricht und zu weiteren Anlässen außerhalb der Schule begleiten und Schüler*innen individuell unterstützen. Meine Aufgaben wurden übrigens individuell und in Absprache mit meiner Mentorin festgelegt, da es bis dahin keine Erfahrungen an der Schule mit Langzeitpraktikant*innen gab. So konnten meine Interessen und Kenntnisse (unterstützte Kommunikation) besonders gut berücksichtigt werden.

Außenansicht der Schule Klettaskoli (c) M. Bertholdt

Verständigung trotz Sprachbarrieren

Vom ersten Tag an kam ich direkt mit den Schüler*innen, Lehrer*innen und Assistent*innen in Kontakt. Ich lernte verschiedene Persönlichkeiten kennen und mir wurde Zeit gegeben, mich auf Menschen, Besonderheiten und Abläufe einzustellen. Eine besondere Herausforderung für mich war natürlich die isländische Sprache, die auch Unterrichtssprache ist. Ich konnte kein Wort Isländisch, als ich auf der Insel ankam (das war auch keine Voraussetzung!). Darum bin ich froh, dass ich mich zumindest in Englisch fließend mitteilen kann.
Mir war es ein besonderes Anliegen, Methoden und Praxis der Unterstützten Kommunikation in der Schule kennenzulernen, da ich in Deutschland eine Qualifizierung als „Coach für Unterstützte Kommunikation“ begonnen hatte, die ich während meines Aufenthalts in Island mit einem schriftlichen Projekt dann auch erfolgreich beenden konnte. Wie das Kommunizieren im Schulalltag gelingt oder auch an Grenzen stoßen kann, das erfuhr ich in verschiedenen Situationen von Unterricht, Pausen und diversen Aktivitäten, aber auch im pflegerischen Bereich. Zum Beispiel gab es da eine Schülerin, die zu Beginn in meiner Gegenwart eher unsicher wirkte, dann aber außerordentlich oft von mir Unterstützung haben wollte. Dies teilte sie mir energisch durch Gebärden und Lautieren mit.

Austausch mit Doktorandinnen der Disability Studies Fakultät

Da ich mein Praktikum in einem individuellen Rahmen durchführte, war ich nicht in andere Institutionen eingebunden. Dank Prof. Traustadóttir von der Háskóli Íslands kam ich erfreulicherweise in Kontakt mit PhD-Studierenden der Disability Studies Fakultät. Das war eine besondere Erfahrung, die mich sowohl persönlich wie Studiums-begleitend (beruflich) bereichert hat. Die Studierenden – teilweise Personen mit Behinderungen – haben mir über ihr Studium und ihre Promotionsthemen erzählt. Alle haben einen internationalen Hintergrund (Herkunft und Erfahrungen), unterrichten an der isländischen Universität und forschen dort an ihren spezifischen Disability Studies Schwerpunkte (z.B. genetische Diagnostik, Elternschaft von Menschen mit Behinderung, Frauen mit Behinderung im Rechtssystem).

Straßenbemalung in Regenbogenfarben vor Bergkulisse mit Fjord (c) M. Bertholdt

Meine „Learnings“

Ich nehme aus diesem Praktikumsaufenthalt vielfältige und berührende Eindrücke mit, die mich noch lange beschäftigen werden. Da sind zum einen die Begegnungen mit so unterschiedlichen Menschen im beruflichen und persönlichen Kontext, die ich in ihren Rollen und Perspektiven (als Mensch mit und ohne Behinderung, Schüler*in, Lehrer*in, Assistent*in, Immigrant*in etc.) kennenlernen durfte. Ich habe Meinungen zur Inklusion und deren Umsetzung gehört, die nicht immer positiv waren. Die Gesellschaft in Island scheint in dem gleichen Prozess wie hierzulande zu stecken, was Ansichten und Umsetzung von Inhalten der UN-BRK betrifft. Allerdings ist Island der UN-BRK erst viel später als Deutschland beigetreten (Deutschland: 2009, Island: 2016). In beiden Ländern wird nach wie vor an Sondereinrichtungen für Menschen mit Behinderung festgehalten. In Island sind mir jedoch mehr Gelassenheit und Freundlichkeit im Umgang mit allen Menschen begegnet.

Mein Resümee ist, dass mich Inhalte der UN-BRK, Inklusion und deren Auswirkungen auf die Handlungsfelder meines Studienganges auch zukünftig beschäftigen werden. Ich kann mir jetzt vorstellen, später noch ein Masterstudium im Rahmen von Disability Studies zu absolvieren.

Bericht: Margret Bertholdt

 

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